C. Carozzi u.a. (Hgg.): Le pouvoir au Moyen Âge

Cover
Titel
Le pouvoir au Moyen Âge.


Herausgeber
Carozzi, Claude; Taviani-Carozzi, Huguette
Erschienen
Aix-en-Provence 2005: Université de Provence
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 27,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Sindy Schmiegel, Universität Passau und Université Paris I Panthéon-Sorbonne

Das von Claude Carozzi und Huguette Taviani-Carozzi herausgegebene Werk versammelt 16 von 2002 bis 2004 an der Université de Provence in Aix-en-Provence gehaltene Vorträge, die sich um das Thema „Macht im Mittelalter“ gruppieren. Die Autor/innen der einzelnen Beiträge arbeiten historisch, rechtshistorisch oder archäologisch. Das sehr weite Feld „Macht im Mittelalter“ wurde von den Herausgebern in drei Themenbereiche unterteilt: Orte und Zeichen von Macht, Die Macht und die Mächte, sowie Fundamente und Ideologien von Macht. Selbst diese Untergliederung zeigt sich sehr unpräzise. Das Sammelwerk gibt keineswegs vor, „Macht im Mittelalter“ umfassend erklären zu wollen, sondern gesteht zu, keine summa über die Frage der „Macht“ zu sein, dafür aber ein chronologisch und geografisch sehr weit gefasstes Gebiet abzudecken. Damit haben sich die Herausgeber geschickt aus der Affäre gezogen, denn die Überschrift „Macht im Mittelalter“ scheint lediglich der kleinste gemeinsame Nenner zu sein, unter dem die sehr verschiedenen Artikel zusammengefasst werden konnten. Die Zusammenstellung der Beiträge wirkt ein wenig arbiträr, sie hinterlässt den Eindruck, als habe man verschiedenen Forschern die Gelegenheit gegeben, ihre aktuellen Arbeiten auf unkomplizierte Weise zu publizieren. Eine Synthese der Beiträge erfolgt nur insoweit, als dass sie den eingangs genannten weitläufigen Themengruppen zugeordnet wurden. Die Leser/innen, der sich umfassendere Erklärungen zur durchaus problematischen Fragestellung „Macht im Mittelalter“ erhofft, werden von diesem Werk zwangsläufig enttäuscht werden.

„Le pouvoir au Moyen Âge“ stellt dennoch einen wertvollen Beitrag zur mediävistischen Forschung dar, denn die Qualität der versammelten Artikel ist außerordentlich hoch. Es werden jeweils sehr spezielle Aspekte behandelt, die sich alle irgendwie in den Rahmen „Macht im Mittelalter“ einfügen lassen, darüber hinaus aber das jeweilig untersuchte Problemfeld ausnahmslos detailliert und ausgezeichnet dokumentiert erhellen. Gerade als vertiefende Lektüre zu sehr speziellen historischen Fragestellungen lohnen sich alle Artikel gleichermaßen. Zunächst werden „Lieux et signes du pouvoir“ untersucht. Michel Balivet wählt den originellen Ansatz, arabische und türkische Einflüsse auf den byzantinischen Hof als Ort der Macht zu analysieren und setzt diese in Beziehung zu den bekannten antik-römischen Traditionen. Er zeigt, dass islamische Einflüsse den byzantinischen Hof so weit prägen konnten, dass man seine Angehörigen von außen gelegentlich als „Moslems mit heller Haut“ wahrnehmen konnte. Anhand einiger Beispiele aus Titulatur und Hofzeremoniell weist Balivet nach, dass arabische und türkische Elemente etwa zur gleichen Zeit an Bedeutung gewannen, in der sich der Druck aus der muslimischen Welt auf das byzantinische Reich erhöhte. Balivet beschränkt sich auf einige wenige Quellenbelege, eröffnet aber mit seiner Untersuchung eine interessante Perspektive, die weiter zu verfolgen sich ohne Zweifel lohnt. Den Blick weit nach Westen verlagert Louis Stouff und stellt die Frage, wann eine mittelalterliche Stadt als „Hauptstadt“ gekennzeichnet werden kann und wie Stadt und Macht zusammengehen. Er charakterisiert Arles als nominelle Hauptstadt, die sich nach der Periode als tatsächliche Hauptstadt durch ein elaboriertes Bauprogramm als solche herausstellen musste, ohne es freilich noch zu sein. Mit archäologischem Schwerpunkt analysiert Michel Fixot die Inszenierung des Herrscherthrones als augenfälliges Machtsymbol. Georges Bischoff beschließt das Unterkapitel zu Orten und Zeichen der Macht mit einer Untersuchung über Kirchen und Klosteranlagen, die die Erinnerung ihres lange verstorbenen Gründers wach halten, um sich seines Schutzes zu versichern.

Das Themenfeld „Macht und Mächte“ wird eröffnet durch eine rechtshistorische Untersuchung Claude Gauvards, die die Frage, ob die Todesstrafe als Spiegel der königlichen Macht bezeichnet werden kann, relativierend beantwortet. Die Todesstrafe als Instrument der Machtausübung sei sehr selten zur Anwendung gekommen und entwickelte sich, so Gauvard, mehr und mehr zu einem königlichen Privileg, das die königliche Gewalt über Leben und Tod in aller Deutlichkeit reflektierte. Die mittelalterliche Festkultur nimmt Christiane Raynaud mittels einer sehr detaillierten Quellenstudie in den Blick. Jean-Claude Cheynet befasst sich mit der Interaktion des politischen Zentrums Byzanz und seiner Peripherie, sowie mit den dort regierenden lokalen Eliten. Mit einer wiederum sehr tiefgehenden Quellenuntersuchung zieht Stéphane Boissellier die Reflexionen von Reconquista-Ideen in narrativen Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts nach. Am Beispiel des Friedens von Saint-Gilles untersucht Jacques Paul detailliert die Mechanismen der Durchsetzung politischer Interessen im Mittelalter und betont besonders die Wechselwirkungen zwischen lokalen geistlichen und weltlichen Adligen, übergeordneten Mächten und involvierten Städten als Träger politischer Interessen. Ähnlich geht auch Jean-Hervé Foulon vor. Auch er untersucht anhand eines gut dokumentierten Einzelbeispiels abstraktere historische Fragestellungen, hier die Frage, inwieweit Exemptionen Mittel politischer Machtausübungen darstellen. Rémi Fixot untersucht anhand von Aufzeichnungen eines Klosters die Entwicklung des Rechtswahrunssystems unter den normannischen Königen auf lombardischem Gebiet. Allen Studien des zweiten Abschnitts, mit Ausnahme des Aufsatzes Claude Gauvards, ist ihre Beschränkung auf sehr spezielle Fragestellungen gemeinsam, die anhand von detaillierten Analysen einzelner Quellen erörtert werden. Es stellt sich an dieser Stelle einmal mehr die Frage, ob es berechtigt ist, die jeweils sehr bemerkenswerten, aber auch sehr speziellen Arbeitsergebnisse in den Zusammenhang „Macht im Mittelalter“ zu stellen. Den letzten Abschnitt des Sammelbandes, Fundamente und Ideologien von Macht, eröffnet Yves Sassier mit einer provokanten Frage, die bereits lange währende Diskussionen weiterführt: Sassier untersucht das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt unter Einbeziehung der jeweiligen politischen Verhältnisse im Karolingerreich. Sassier scheut sich nicht davor, einen bereits unzählige Male kommentierten Text, den 494 verfassten Brief Papst Gelasius’ I. an Kaiser Anastasius, erneut in den Blick zu nehmen. Besagter Brief enthält die Begriffe auctoritas pontificum und potestas regia, deren Relevanz Sassier für die Karolingerzeit untersucht. Sassier setzt sich insbesondere kritisch mit der These Pierre Touberts auseinander, nach dem der gelasianische Text zwischen seiner Abfassung und dem 11. Jahrhundert keine Relevanz gehabt hätte 1 und untermauert seine Ansicht, nach der gelasianisches Gedankengut sehr wohl in der Karolingerzeit rezipiert worden sei, mit einer ausführlichen Dokumentation. Mit größter Sicherheit ist das letzte Wort der Forschung zu diesem kontroversen Thema noch lange nicht gesprochen. Der Mitherausgeber des vorliegenden Sammelbandes Claude Carozzi analysiert anhand detaillierter lexikalischer Untersuchungen die viel beachtete Vita Karoli unter dem Aspekt königlicher Aufgaben. Einem weiteren vielbeachteten Sujet widmet sich Huguette Taviani-Carozzi. Sie erläutert die Ansichten eines Autors des 12. Jahrhunderts wiederum zum Verhältnis von regnum und sacerdotium, in denen die Kirche zur Matrix aller Macht wird. In gewisser Weise setzt Taviani-Carozzi die Untersuchung des Problemfeldes weltliche-geistliche Gewalt, die schon Sassier thematisiert hatte, für das 12. Jahrhundert fort. Damien Bouquet hat wiederum die Macht der Kirche und ihrer Angehörigen zum Thema. Er unterstreicht, dass nach Bernhard von Clairvaux die Machtausübung über sich selbst die Voraussetzung dafür ist, über andere zu regieren. Eine Studie zur Rolle der Universitäten als mittelalterliches Instrument der Machtausübung beschließt den Sammelband. Jacques Verger betrachtet, ohne sich ausschließlich auf das Mittelalter zu konzentrieren, das Verhältnis von herrscherlicher Gewalt und Wissen und unterstreicht, dass sich die Universitäten, wenn sie auch nicht selten an der Befestigung der weltlichen Gewalt mitgewirkt haben, sich doch eine gewisse Autonomie und ein gewisses Widerstandspotential bewahren konnten.

Im vorliegenden Sammelband sind Beiträge von renommierten französischen Mediävisten versammelt, entsprechend hoch ist der Anspruch der einzelnen Artikel. Getrübt wird dieser Eindruck durch den unpassenden Titel, der viel verspricht, aber letztlich in die Irre führt. Geschuldet ist diese Art von Sammelband dem Charakter vieler französischer Seminare, externe Forscher dazu einzuladen, über ihre aktuellen Vorhaben zu referieren. Dazu ist es notwendig, die Seminare möglichst weit gefassten Themengebieten zuzuordnen, die sich dann im Titel entsprechender Sammelbände wiederfinden. So gewinnbringend die Seminare und so aussagekräftig die Artikel im Einzelnen sein mögen, sie bieten selten methodisch kohärente und umfassende Analysen größerer historischer Problemfelder, wie die gewählten Titel suggerieren könnten.

Anmerkung:
1 Toubert, Pierre, La doctrine gélasienne des deux pouvoirs. Propositions en vue d’une révision, in: Studi in onore di Giosuè Musca, Bari 2000, S. 519-540.

Redaktion
Veröffentlicht am
09.06.2006
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